Von Annika Just
(April 2024)
Zwischen Abschiebung und neuen Perspektiven – Elisabeth Ernst ist Jobbegleiterin für Geflüchtete und Migranten in der Passauer Region. Sie hilft Ratsuchenden dabei, Fuß zu fassen und Arbeit zu finden.
Am Ende einer schmalen Gasse, die sich unscheinbar zwischen Universitätsgebäuden und Kopfsteinpflaster ihren Weg bahnt, steht ein hellgelber Altbau. Hier in der Dr.-Hans-Kapfinger-Straße in Passau befindet sich das Büro von Elisabeth Ernst. Um in das zweite Obergeschoss zu gelangen, ist eine gewundene dunkelbraune Holztreppe zu besteigen. Jeder Tritt auf die alten knarzenden Stufen hallt dumpf durch das gesamte Treppenhaus. Oben angekommen öffnet eine Frau mittleren Alters mit einem herzlichen Lächeln die Bürotür. Die kinnlangen grauen Haare fallen ihr auf einer Seite leicht ins Gesicht. Elisabeth ist Jobbegleiterin für Geflüchtete und Migranten im Rahmen eines Projekts des Passauer Wirtschaftsforums.
Elisabeth schließt die Tür hinter sich und nimmt Platz an ihrem riesigen Schreibtisch. Ein helles geräumiges Zimmer mit zwei Fenstern und einer Zimmerpflanze neben dem Tisch. Das ist für 40 Stunden in der Woche der Arbeitsort für die Jobbegleiterin.
Die Tätigkeit übt sie seit dem Jahr 2019 aus. Elisabeth deutet nach links auf ein Plakat an der Wand ihres Büros. „Dort hinten hängt noch ein Plakat mit einem Kulturprojekt, weil ich eigentlich aus der Kulturbranche komme.“ Durch einen Kollegen am Wirtschaftsforum ist sie in die Jobbegleitung hineingerutscht, als sie sein Projekt übernehmen konnte.
Den Kontakt zur Jobbegleiterin finden die meisten Ratsuchenden über Mundpropaganda und die Weiterempfehlung anderer. Nach einem kurzen Austausch vorwiegend über WhatsApp kommt es zu einem ersten Gespräch im Büro, wobei die Jobbegleiterin die Wünsche und Vorstellungen der Ratsuchenden abfragt. Auch spricht sie über die nötigen Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, um die beruflichen Vorstellungen umzusetzen. Im Anschluss bereitet Elisabeth gemeinsam mit den Arbeitsuchenden die notwendigen Unterlagen vor. Als Bindeglied stellt Elisabeth dann den Kontakt zu einem möglicherweise passenden Unternehmen her.
Die Jobbegleitung dauert meist bis zum Start der Arbeit oder einer Ausbildung und bietet auch danach noch Unterstützung für die Unternehmen und Beschäftigten bei Bedarf an.
Die Zielgruppe für die Jobbegleitung ist begrenzt auf Asylbewerber und Geduldete mit guter Bleibeperspektive, anerkannte Asylbewerber, sowie Menschen über 25 Jahre mit Migrationshintergrund. Eine weitere Voraussetzung sind ausreichend beschäftigungsrelevante Sprachkenntnisse in Deutsch. Insgesamt berät Elisabeth rund 160 Ratsuchende pro Jahr, wobei es in 30 bis 35 Fällen zu einer intensiveren Betreuung kommt. Grundsätzlich versucht Elisabeth aber jedem ein Gespräch anzubieten, auch wenn sie in einigen Fällen im Anschluss eine Absage auf Weiterbegleitung erteilen muss.
Die Ratsuchenden kommen dabei aus den verschiedensten Ländern. „Es sind relativ viele Geflüchtete aus dem Iran. Auch afghanische Ortskräfte, die nach der Taliban-Übernahme 2021 nach Deutschland kamen. Und neben Syrien ist ein Schwerpunkt Nigeria“, stellt Elisabeth fest. Als einzige Jobbegleiterin in der Region Passau hat sie alle Hände voll zu tun. Ende 2022 waren es nach Angaben des Bayerischen Landesamts für Statistik 6.000 Schutzsuchende in Stadt und Landkreis Passau, die aus dem Ausland eingereist sind. In Niederbayern gibt es nur drei weitere Kollegen in der Jobbegleitung für die Regionen Landshut und Regen.Ihre besondere Arbeit schätzt sie sehr. „Ich find’s einfach interessant mit so unterschiedlichen Kulturen und Menschen in Kontakt zu treten.“ Elisabeth zuckt mit den Schultern. „Jeder ist ganz besonders und in der Eins-zu-eins-Betreuung lernt man den Menschen meistens sehr gut kennen.“
Eine ihrer Schützlinge ist die junge Lilian. Aufrecht sitzt sie im Besprechungsraum des Wirtschaftsforums in einem der Stühle am Tisch. Ihr dunkles Haar ist in viele kleine Zöpfe geflochten und rahmt das breite Lächeln der Ostafrikanerin ein. Ursprünglich kommt sie aus Uganda und ist dank der Jobbegleiterin gerade dabei eine Ausbildung zur Pflegefachfrau in Passau zu machen. Für die alleinerziehende Mutter war Elisabeth Ernst eine riesige Hilfe. Und das nicht nur bei der Jobsuche. „Sie hat mich die ganzen fünf Jahre begleitet, bis heute. Ich sehe Frau Ernst als meinen Schutzengel. Sie hat mir sooo viel geholfen“, erklärt die Auszubildende mit einer verneigenden Kopfbewegung. Ihre großen braunen Augen strahlen dabei hinter den eckigen Brillengläsern und ihre rot geschminkten Lippen lächeln.

Lilian und Elisabeth Ernst ©Annika Just
Vor fünf Jahren hat Lilian ihre Heimat hinter sich gelassen und ist nach Deutschland gekommen. In Uganda hat sie Gender Studies an der Universität studiert, 2 Jahre lang als Bankangestellte gearbeitet und später ihre eigene Kleidungsboutique eröffnet. Als die junge Frau zu Elisabeth Ernst gekommen ist, hat ihr die Jobbegleitung unter anderem geholfen einen passenden Sprachkurs zu finden und einen Lebenslauf zu schreiben. Die Uganderin zieht ihre Augenbrauen nach oben und schüttelt demütig ihren Kopf. „Was soll ich sagen, sie hat alles gemacht! Für mich ist sie wie eine beste Freundin.“ Der ostafrikanische Akzent ist deutlich zu hören, aber die Verständigung zwischen den beiden funktioniert mittlerweile ausgesprochen gut.
Eine sehr große Herausforderung stellt hingegen die Bürokratie dar. Mit der Einreise nach Deutschland und im Rahmen des Asylverfahrens sind unzählige Formulare und Unterlagen auszufüllen. Das baut bei allen Betroffenen sehr viel Frust auf. „Es zermürbt die Geflüchteten zum Teil“, erklärt Elisabeth mit schüttelndem Kopf. „Viele kommen sehr motiviert zu mir, aber über die Zeit geht die Energie bei ihnen oft verloren. Einige sind deshalb auch in psychologischer Behandlung“, kommentiert sie die Umstände besorgt. „Die Unsicherheit, wie die Zukunft aussieht hat man häufig über vier oder fünf Jahre. Genau das sind gerade im jungen Alter so wichtige Jahre, um sich hier etwas aufzubauen. Die Geflüchteten sind zum Teil zur Stagnation verdammt.“ Lilian nimmt den bürokratischen Irrsinn mittlerweile mit Humor. „Oh my goodness, das war sooo viel“, lacht die Uganderin. „Manchmal dauert es sehr lange und du musst die ganze Zeit warten.“ Für Elisabeth ist Lilian ein Vorzeigebeispiel. „Sie schlägt sich so gut. Sie hat eine wirkliche Vorbildrolle“, lobt sie ihren Schützling mit einer verbeugenden Geste.
Aber nicht bei jedem läuft es so erfolgreich. Wie die Jobbegleiterin erzählt, haben viele Probleme in der Berufsschule. Nicht nur die deutsche Sprache bereitet Schwierigkeiten, einige sind das Lernen oftmals nicht gewohnt oder finden in der Gemeinschaftsunterkunft, in der sie im Asylverfahren untergebracht sind, nicht die nötige Ruhe. Teilweise fühlen sich die Auszubildenden im Betrieb rassistisch angegriffen. Auch wollen manche der Geflüchteten dann doch direkt arbeiten und mehr Geld verdienen, sodass sie die Ausbildung nicht vollenden. „Ich versuch‘ sie dann schon zu motivieren es durchzuziehen, weil es sich am Ende auszahlt. Aber es sind erwachsene Menschen, die selbst für sich entscheiden müssen“, erzählt Elisabeth mit hochgezogenen Augenbrauen.
Was ihren Job so besonders macht sind die einzigartigen Geschichten der Menschen, mit denen Elisabeth täglich in Kontakt tritt. Sie stützt ihre Unterarme auf dem Schreibtisch vor sich auf und erzählt von einem Geflüchteten, den sie in der Vergangenheit betreut hat. Er hatte ein Ausbildungsplatzangebot, stand aber kurz vor der Abschiebung. Ursprünglich hatte er Elektrotechnik in Nigeria studiert. Er wählte den Fluchtweg nach Deutschland, wobei ziemlich schnell klar wird, dass er nicht in der Bundesrepublik bleiben darf. Zur Debatte standen die Abschiebung auf der einen Seite und die freiwillige Ausreise und mögliche anschließende legale Wiedereinreise über ein Ausbildungsvisa im Rahmen des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes auf der anderen Seite. „Ich hab‘ ihn dann versucht zur freiwilligen Ausreise zu überreden, das wollte er nämlich eigentlich nicht. Für ihn hätte das bedeutet, den Kopf in den Sand zu stecken“. Letztendlich lässt er sich dann doch auf die Jobbegleiterin ein. „Ich hab‘ mich sehr gefreut, als er nach zwei Monaten legal mit einem Ausbildungsplatzvisa wieder zurück kam“, gibt Elisabeth mit einem breiten Lächeln auf den Lippen zu. Sie runzelt ihre Stirn, die Augen sind weit geöffnet. „In diesem Asylstatus zu sein und vor der Abschiebung zu stehen ist eine Riesenbelastung für jeden Menschen“.
Elisabeth senkt ihre Stimme. „Jetzt ist er ein freier Mensch.“